„Mit dem dritten Ohr hören“: Reden und Schweigen in der therapeutischen Beziehung
In gesprächsorientierten Therapien wird dem Sinn des Schweigens zumeist wenig Beachtung geschenkt. Schweigen ist nicht einfach ein Nullpunkt oder eine Leerstelle des Sprechens. In zwischenmenschlicher Kommunikation lässt es sich nur als „beredtes Schweigen“ verstehen, als ein Sprechen durch Nicht-Sprechen.
Mit seiner Vieldeutigkeit verwehrt sich Schweigen zunächst dem Selbst-Verständlichen und stellt eine potenzielle Quelle der Irritation dar. Für Therapeut*innen wie auch Patient*innen. Und gerade weil es sich immer zumindest ein Stück weit der Deutung entzieht, provoziert es sie.
Andererseits eröffnet sich in therapeutischen Szenen des Schweigens die Chance, mit dem „dritten Ohr“ (Theodor Reik) zu hören. Dieses „Hören“ ist offen für den nonverbalen Ausdruck meist unbewusster Verhaltens- und Reaktionsschemata, von denen unsere interpersonalen Beziehungen durchzogen sind. Sie bilden den Boden, auf dem Psychotherapie stattfindet und Veränderung einsetzen kann.
Dr. Fritz Betz, Psychotherapeut (Integrative Therapie) und Soziologe, Supervisor, Lehrtherapeut, Lehrbeauftragter an der Universität für Weiterbildung Krems. Jüngste Publikation (gemeinsam mit René Reichel) (2021). Schweigen macht Sinn. Zur Bedeutung von Sprechpausen, Stille und Verschwiegenheit in Beratung, Psychotherapie und Alltag. Wien: Facultas.