Orya Tishy: Psychotherapy in the midst of war and political conflict
Englischsprachiger Vortrag mit Simultanübersetzung
Abstract Deutsch: Die israelische Gesellschaft hat seit der Staatsgründung mehrere traumatische Ereignisse erlebt. Daher haben wir viel Erfahrung in der Behandlung und Erforschung von PTBS gesammelt. Das Massaker vom 7. Oktober und der darauffolgende Krieg in Israel stellten die Mitarbeiter im Bereich der psychischen Gesundheit jedoch vor beispiellose Herausforderungen. Die Notwendigkeit, mit vertriebenen Familien zu arbeiten, die ihr Zuhause verloren haben, mit traumatisierten Kindern, die ihre Eltern und ihr Zuhause verloren haben, mit Familien der Geiseln und Opfer des Nova-Tanzfestivals, mit zurückkehrenden Geiseln und mit einem wachsenden Kreis von Menschen, die in ständigem Stress leben. Der Bedarf an psychologischer Betreuung ist dringend, und das System der psychischen Gesundheit bricht zusammen. Um mit der Situation zurechtzukommen und den Bedürftigen Hilfe und Unterstützung zu bieten, konnten wir uns nicht nur auf vorhandene Forschungsergebnisse stützen, sondern mussten „einfach loslegen“ und mit der Arbeit beginnen. Neben der Anpassung bestehender und der Entwicklung neuer Behandlungsprotokolle haben Therapeuten mit einem „gemeinsamen Trauma“ zu kämpfen: Sie führen Psychotherapie durch, während sie selbst Familienmitglieder im Krieg verloren haben oder Söhne und Töchter haben, die sich im Kampf befinden. In diesen Zeiten haben wir es auch mit politischen Spannungen zu tun: In der israelischen Gesellschaft herrscht Uneinigkeit darüber, wie es weitergehen soll und was unsere Ziele sind. Es ist eine Herausforderung, jemanden zu behandeln, der „auf der anderen Seite“ steht. Auch unsere arabischen Mitbürger in Israel leiden. Einige haben Verwandte in Gaza, während andere Familienmitglieder bei dem Massaker vom 7. Oktober verloren haben. Auch die Therapiesitzungen zwischen uns sind angespannt. In meinem Vortrag werde ich einige dieser Herausforderungen beschreiben und wie wir versuchen, mit ihnen umzugehen, um Wege zu finden, andere und uns selbst zu heilen.
Abstract English: Israeli society has experienced multiple traumatic events since the establishment of the state. Thus, we have accumulated much expertise in the treatment and study of PTSD. However, the October 7 massacre and the ensuing war in Israel posed unprecedented challenges to mental health workers. The need to work with displaced families who lost their homes, traumatized children who lost their parents and their homes, families of the hostages and victims of the Nova dance festival, returning hostages, and an increasing circle of people living in continuous stress. The need for mental health is urgent, and the mental health system is collapsing. In order to cope and provide help and support for those in need, we could not only rely on existing research, but we had to “jump in” and start working. In addition to adapting treatment protocols and developing new ones, therapists have been coping with “shared trauma”: conducting psychotherapy while they themselves have lost family members at war, or have sons and daughters who are in combat. In these times, we are also dealing with political tension: There is a rift in Israeli society as to where we go from here and what our goals are. It is challenging to treat someone who is “on the other side”. Our fellow Arab citizens in Israel are suffering as well. Some have relatives in Gaza, whereas others lost family members in the October 7th massacre. The meeting between us in therapy is also tense. My talk will describe some of these challenges and how we try to cope with them, in order to find ways to heal others and ourselves.
Prof. Dr. Orya Tishby ist Professorin an der Abteilung für Psychologie sowie an der Paul Baerwald School of Social Work and Social Welfare der Hebräischen Universität Jerusalem. Sie erwarb ihren B.A. und M.A. in Klinischer Psychologie an der Hebräischen Universität und promovierte in Klinischer Psychologie an der Graduate School of Applied and Professional Psychology der Rutgers University in New Jersey, wo sie mit dem New Jersey Psychological Association Best Doctoral Dissertation Award ausgezeichnet wurde. In ihrer Forschung konzentriert sich Prof. Tishby auf Prozess-Outcome-Studien in der Psychodynamischen Psychotherapie, insbesondere auf die therapeutische Beziehung, einschließlich Übertragung und Gegenübertragung, sowie auf die Psychotherapie mit Jugendlichen. Neben ihrer Forschungstätigkeit ist sie Direktorin des Freud Center for Research in Psychoanalysis und Mitglied des NEVET-Programms, einem Forschungsnetzwerk, das sich mit kontextbezogener Forschung und Ausbildung für gefährdete Kinder beschäftigt. Prof. Tishby ist zudem als klinische Psychologin und Supervisorin tätig und arbeitet mit Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Eltern.